Italien - Frankreich 6:4 n.E.

Italien Weltmeister - ein Triumph der Defensive

Italien hielt zwar nur im ersten Durchgang mit den danach deutlich überlegenen Franzosen mit, verteidigte das frühe 1:1 aber auch mit dem ganzen Können seiner Hintermannschaft und holte letztlich zum vierten Mal die WM-Trophäe, weil sich das Lippi-Team im Elfmeterschießen keinen Fehlschuss erlaubte. Frankreich hätte während der 120 Minuten Spielzeit den Sack längst zu machen müssen, vergab aber auch die besten Torchancen.

Zittern auf der französischen Seite bereits nach 46 Sekunden, denn Henry war mit dem Kopf gegen die Schulter von Cannavaro geprallt und benommen liegen geblieben. Doch drei Minuten später war Henry wieder dabei. Kurz darauf stieg Zambrotta gegen Viera am gegnerischen 16er zu hart ein und sah Gelb. Beim direkt erfolgten Angriff der Franzosen im Anschluss wurde Malouda im Strafraum von Materazzi touchiert. Den Elfmeter schlenzte Zidan in aufreizender Art an die Unterkante der Latte, von der die Kugel hinter die Torlinie sprang (7.). Erstmals waren die Italiener in diesem Turnier in Rückstand geraten. Zwei Minuten später fälschte Materazzi ein Ribery-Geschoss nur haarscharf über den Giebel ab. Die geschockten Azzuri kamen nur schwer in ihre ersten Angriffe, prallten an der routinierten Deckung der Franzosen ein ums andere Mal ab. Doch die Führung wackelte alsbald. Zuerst klärte Thuram per Flugkopfball in höchster Not (14.), fünf Minuten später aber flog ein Eckstoß Pirlos von rechts vor den Torraum auf den Kopf des am höchsten springenden Materazzi, der scharf und platziert zum 1:1 einnickte. Das Tempo blieb auch nach dem zweiten Treffer dieser Partie hoch. In der 28. Minute nahezu die gleiche Situation wie beim Ausgleich: Eckstoß Pirlo - Kopfball Materazzi, doch diesmal hatte sich der italienische Innenverteidiger aufgestützt. Sieben Minuten später blockte Thuram Toni gerade noch beim Torschuss ab, doch die folgende Pirlo-Ecke brachte erneut höchste Gefahr. Luca Toni köpfte das Spielgerät an die Querlatte. Die Italiener waren inzwischen das bissigere Team, hatten längst das Chancenplus und gewannen mehr Zweikämpfe im Mittelfeld. Frankreich kam dagegen immer seltener in die Nähe, geschweige denn in den gegnerischen Strafraum. Alleinunterhalter Henry war vorne ohne Chance gegen die Übermacht der erstklassigen Abwehrcracks Italiens. Vor der Pause neutralisierten sich die Kontrahenten im Mittelfeld, störten gegenseitig den Spielfluss und ließen kaum mehr Szenen vor den Toren zu.

Mit einem Durchbruch Henrys über links stiegen die Franzosen nach dem Seitenwechsel wieder ein, doch der Arsenal-Angreifer bekam nur einen Roller zustande, den Buffon sicher aufnahm (46.). Henrys zweites Solo endete wenige Minuten später bei Zambrotta, der zur Ecke klärte. Als Zambrotta Malouda in der 54. Minute von den Beinen holte, hätte eigentlich der zweite Strafstoß der Partie gepfiffen werden müssen, doch Schiri Elizondo versagte den Elfer diesmal. Frankreich dominierte immer deutlicher, dank Zidane und Henry, musste ab der 56. Minute jedoch auf den eigentlich unersetzbaren Viera verzichten, der sich den Oberschenkel gezerrt hatte. Italiens Coach Lippi reagierte auf den Bruch im Spiel seiner Elf und wechselte die enttäuschenden Totti und Perotta aus. Nach einem Abseitstor von Toni wurde auf der Gegenseite Buffon erstmals ernsthaft von Henry geprüft (63.). Das Spiel hatte auf beiden Seiten wieder Fahrt aufgenommen, die Risikobereitschaft stieg. Schussversuche von Malouda, Ribery und Abidal bezeugten aber weiterhin die Vorteile der etwas präsenteren Franzosen, auch wenn sie einige Meter am Tor vorbei zischten. Einzig ein Pirlo-Freistoß, der um einen Meter verzogen wurde (77.), hatte auf der Gegenseite nach der Pause etwas Gefahr angedeutet. Doch die Hintermannschaft der Azzuri blieb ihr besserer Mannschaftsteil, machte es den überlegenen Franzosen weiter schwer, eine Lücke zu finden. In den Schlussminuten der regulären Spielzeit wirkte das italienische Team körperlich platt, alle Konterversuche versandeten früh. Das 1:1 hielt die Lippi-Truppe aber bis zum Abpfiff nach 92 Minuten und es ging in die Verlängerung.

Unveränderte setzte sich der Druck des Domenech-Teams in der Verlängerung fort. In der Spitze blieb Henry jedoch meist auf sich allein gestellt, obwohl der französische Trainer noch Möglichkeiten zu zwei Einwechslungen hatte. Immerhin schmorten mit Wiltord und Trezeguet noch zwei gestandene Stürmer auf der Ersatzbank. Riberys Hochkaräter nach 100 Minuten hätte fast den Bann gebrochen, sein Flachschuss ging jedoch Zentimeter am rechten Pfosten vorbei. Dann kam Trezeguet doch noch (101.). Zidanes Kopfball nach 104 Minuten war die nächste Möglichkeit zum 2:1, doch Buffon reagierte glänzend. Italien hatte dagegen scheinbar längst aufs Elfmeterschießen gesetzt, nutzte seine letzten Kräfte nur noch zur Torverhinderung. In der 109. Minute verlor Zidane plötzlich die Beherrschung, rammte fernab des Spielgeschehens nach einer Materazzi-Provokation dem Italiener seinen Kopf gegen die Brust und sah zum Abschluss einer großen Karriere die Rote Karte. Ein leider unwürdiges Ende der Laufbahn dieses ansonsten überragenden Fußballspielers. Aber selbst in Überzahl brachten die ausgelaugten Italiener nichts mehr zuwege. Eine Chance für Wiltord landete abschließend noch weit im Toraus (119.), dann ging es zum zweiten Mal in der Geschichte der WM-Endspiele (nach 1994) ins Elfmeterschießen.

Die Dramaturgie der Entscheidung: Pirlo und Wiltord verwandelten sicher. Materazzi tat es ihnen nach, aber Trezeguet rammte die Kugel an die Unterkante der Latte und der Ball prallte vor der Linie auf. Di Rossi und Abidal waren danach wieder erfolgreich. Del Pierro und Sagnol ließen sich ebenfalls nicht beirren und Verteidiger Grosso, bereits für das entscheidende Tor gegen Deutschland zuständig, führte Italien mit seinem cool verwandelten Schuss vom Punkt zum vierten Weltmeisterschaftstitel.

Ulrich Merk


So 09.07.2006, 20:00 Uhr, Olympiastadion, Berlin
WM 2006, Finale
69.000 Zuschauer - Schiedsrichter: Horacio Marcelo Elizondo (Argentinien)

Italien - Frankreich 6:4 n.E. (1:1 n.V., 1:1, 1:1)

Italien
 
Gianluigi Buffon
Gianluca Zambrotta
Fabio Cannavaro
Marco Materazzi
Fabio Grosso
Mauro Camoranesi (86. Alessandro del Piero)
Gennaro Gattuso
Andrea Pirlo
Simone Perrotta (61. Daniele De Rossi)
Francesco Totti (61. Vincenzo Iaquinta)
Luca Toni
 

Frankreich
 
Fabien Barthez
Willy Sagnol
Lilian Thuram
William Gallas
Eric Abidal
Franck Ribery (101. David Trezéguet)
Claude Makelele
Patrick Vieira (56. Alou Diarra)
Zinedine Zidane
Florent Malouda
Thierry Henry (107. Sylvain Wiltord)
 
Trainer: Marcello LippiTrainer: Raymond Domenech
Tore
 
0:1 Zinedine Zidane 7. (Foulelfmeter, Materazzi an Malouda)
1:1 Marco Materazzi 19. (Kopfball, Pirlo)

2:1 Andrea Pirlo (Elfmeterschießen)
2:2 Sylvain Wiltord (Elfmeterschießen)
3:2 Marco Materazzi (Elfmeterschießen)
4:2 Daniele De Rossi (Elfmeterschießen)
4:3 Eric Abidal (Elfmeterschießen)
5:3 Alessandro del Piero (Elfmeterschießen)
5:4 Willy Sagnol (Elfmeterschießen)
6:4 Fabio Grosso (Elfmeterschießen)
 
Besondere Vorkommnisse:
Rot für Zinedine Zidane (109.)
Trezeguet verschießt im Elfmeterschießen - an die Latte