"Es wäre absurd, Fußball zu spielen"

Verständnis für die General-Absage, aber auch Enttäuschung, weil das Hygiene-Konzept vielfach nicht beachtet wurde

Von Wolfgang Brück

Heidelberg. Abpfiff im Amateurfußball. Gestern hat der badische Fußballverband die Spiele von der Jugend bis zum Herrenbereich, von der Kreisklasse C bis zur Oberliga, abgesetzt. Die zweite Corona-Zwangspause in diesem Jahres beginnt ab sofort, gilt bereits für das Wochenende. Sie soll den ganzen November andauern. Weil so lange auch nicht trainiert werden soll und Weihnachten vor der Tür steht, muss befürchtet werden, dass im unseligen Jahr 2020 der Ball nicht mehr rollen wird.

Mit der sofortigen Absage folgten die Präsidenten der baden-württembergischen Verbände der Forderung von Winfried Kretschmann. Der Landesvater hatte appelliert: "Jeder Tag zählt."

Er sei "total enttäuscht", gesteht Badens Boss Ronny Zimmermann. Der 59-jährige Rechtsanwalt aus Wiesloch bedauert: "Die Menschen sind zu schnell wieder zur Normalität übergangen, haben die Gefahren ignoriert." Damit meint er nicht nur seine Fußballer.

Den Warnungen zum Trotz hielten in den vergangenen Wochen Zuschauer die Abstände nicht ein. Wer eine Maske aufsetzte, machte sich verdächtig, einen Banküberfall zu planen. Auch in den Umkleidekabinen, beim Duschen und bei Mannschafts- Besprechungen seien die Vorsichts-Maßnahmen häufig nicht eingehalten worden. Das jedenfalls musste Johannes Kolmer beobachten. Der Kreis-Vorsitzende ist auch als Schiedsrichter unterwegs.

Ob die rasant ansteigenden Zahlen durch den lockeren Umgang begünstigt wurden, weiß man nicht. Bei 75 Prozent der Infektionen ist der Ansteckungsweg unbekannt. Tatsache ist, dass die von Kolmer betreute Corona-Hotline zunehmend in Anspruch genommen wurde. Leimen, Wiesloch, Gauangelloch, Pfaffengrund, Hirschhorn, Sankt Leon, Neuenheim... Quer durch den Fußballkreis traten Infektionen auf, gab es Verdachtsfälle. 17 Spiele mussten in den ersten acht Runden allein in der Heidelberger Region abgesagt werden. Über 80 Vereine waren in ganz Baden betroffen. Eine Kabinenfeier im Südbadischen soll angeblich Ursache von 40 Infektionen gewesen sein. Kolmer ahnte das Unheil: "Von einem geregelten Spielbetrieb konnte nicht mehr die Rede sein."

Dabei bescheinigt der 65-jährige Erste Polizei-Hauptkommissar im Ruhestand den Klubs, dass sie sich bemüht hätten, die Hygiene-Konzepte umzusetzen. So wie Timo Kretz, Abteilungsleiter beim TSV Rettigheim, brachten die Funktionäre eifrig rot-weiße Bändchen an, stellten Schilder auf und Desinfektionsmittel bereit. Aber zu wenige waren sich des Ernstes der Lage bewusst. Das Bedürfnis nach gemeinsamem Erleben und Nähe war größer.

Weil andere Veranstaltungen nicht stattfanden, profitierte der Amateurfußball. Die Zuschauer-Zahlen erreichten fast das Niveau des letzten Jahrtausends. Um so trauriger der erneute Lockdown. "Damit geht wieder ein Stück Normalität verloren", bedauert Staffelleiter Frank Wolf. Der Abteilungsleiter bei der Eberbacher Firma Gelita findet die General-Absage richtig. "Wir sollten nicht zu laut jammern", empfiehlt der 45-jährige Waldwimmersbacher, "in anderen Bereichen geht es um berufliche Existenzen." So sieht es auch Andreas Knödler. "Es wäre absurd, wenn wir in der dramatischen Situation weiter Fußball spielen würden", meint der Leimener Fußball-Chef . Wie, wann und ob es weitergeht, ist ungewiss. Kolmer und Wolf glauben eher nicht an eine Fortsetzung noch in diesem Jahr. Schon jetzt wird diskutiert, wie sinnvoll es ist, im Dezember für ein, zwei Spiele das Training wieder aufzunehmen. Bisher waren die Advents-Wochenenden fußballfrei. Zur Freude der Familien. Timo Kretz bittet, so schnell wie möglich eine Entscheidung zu treffen, um Planungssicherheit zu haben.

Es könnte eng werden, selbst wenn wie geplant Ende Februar der Startschuss fällt. "Dann werden einige Vereine mit bis zu zehn Spielen im Rückstand sein. Auch mit Mittwoch-Spieltagen können wir das nicht aufholen", sagt Wolf. Eine Alternative wäre, sich diesmal auf die Hinrunde zu beschränken. Kretz könnte sich einen völligen Neustart vorstellen. "Dann beginnen wir bei null mit einer einfachen Runde. Durch Corona sind bereits Wettbewerbs-Verzerrungen entstanden", sagt der 42-jährige Vertriebsleiter.

Denkbar ist auch eine noch kürzere Winterpause, zumal der Hallenfußball ausfällt. Die Winter sind milder geworden, es gibt kaum noch Schnee, viele Vereine, vor allem im Fußballkreis Heidelberg, haben Kunstrasenplätze.

Ronny Zimmermann bleibt, wie es sich für eine Führungskraft geziemt, Optimist. Der Vize-Präsident des Deutschen Fußball-Bundes kann sich vorstellen, dass möglicherweise schon im Laufe des Novembers das Schlimmste überstanden ist, dass die Pause keine ähnlichen Ausmaße annimmt wie im Frühjahr, als der Spielbetrieb von Mitte März bis Ende Juni ruhte. Dem einjährigen Phil Knödler ficht das alles nicht an. Weil das Kreisliga-Spiel gegen den 1. FC Wiesloch ausfällt, steht ihm sein Papa Andreas am Sonntag exklusiv zur Verfügung.

Es gibt auch Corona-Gewinner.

30.10.2020