Eine Neuenheimer Fußballgeschichte
Günter Frisch, Trainer des ASC Neuenheim Anfang der 80er Jahre war dabei
aus der Rhein-Neckar-Zeitung Nr. 293 vom 18/19.Dezember 1999 Seite 17


"Klein-Arsenal"
- eine Legende lebt weiter

Von einem Fußball-Team,
das es schon lange nicht mehr gibt

von Nikolai Palaoro

Heidelberg. Dies ist die Geschichte einer ganz besonderen Fußball-Mannschaft. Es ist fast schon ein Märchen, freilich kein erfundenes.

Nein, so ganz spurlos sind die Jahre nicht vorübergegangen an den Herrschaften, die sich an diesem Abend in der Vereins-Gaststätte der TSG 78 Heidelberg einfinden. "Kicken tun wir schon länger nicht mehr", erzählt Dr. Günter Frisch, "aber uns dafür umso öfter an die Alten Zeiten erinnern".

An "Klein Arsenal", wie die Anfang der 50er Jahre wohl berühmteste Heidelberger Jugendfußballmannschaft hieß deren einstiger Coach Karl-Heinz Walfort seine Mannen bis zum heutigen Tag jeden ersten Freitag im Monat im TSG-Klubhaus um sich schart. Da erzählen sie sich dann die Geschichten von einst, aus Zeiten, die heutzutage so gar nicht mehr vorstellbar sind.

Es geschah vor 50 Jahren ... Heidelberg-Neuenheim anno 1949. Der Krieg war vorbei. Die Jugend spielte nicht in Kindergärten oder auf Spielplätzen, sondern in Splittergräben, die im Krieg zwischen Uferstraße und Neckarwiese in Zick-Zack-Form gezogen worden waren. "Dort trugen jetzt die Straßenbanden ihre Kriege aus, indem sie sich mit Erdbrocken beschossen" ,erinnert sich Günter Frisch nur zu genau. Als Neuenheimer Bub gehörte er damals zur Bande der berüchtigten "Sackgassen-Mafia", die sich mit den Jungs aus der Werderstraße viele Gefechte lieferten. Frischs Augen glänzen. "Auf der Straße spielten wir Treibball oder kickten mit filzlosen, glattgespielten Tennisbällen. Wenn ein Fußball vorhanden war, wurde auf der Neckarwiese gekickt."

Die Fußbälle, damals noch mit Lederriemen zusammengeschnürt, waren in der Zeit der Währungsreform eine ganz besonders begehrte Rarität - gleichwohl nicht mit dem heute üblichen, runden Leder zu vergleichen: "Wenn die nass wurden, waren sie schwer wie ein Sack", erinnert sich Frisch, dem die Erinnerung an die wuchtigen Kopfstöße von einst noch heute Schädelbrummen bereitet.

Als die Sportvereine wieder zugelassen wurden, spielte der Neuenheimer Nachwuchs zunächst Handball in der Schülermannschaft der TSG. Als aber wenig später eine Fußballabteilung gegründet wurde, wechselte fast die komplette Mannschaft zum geliebten Fußball. "Bereits in der ersten Verbandsrunde belegten wir hinter Eppelheim und Union einen beachtlichen dritten Platz", erinnert sich Frisch; als rechter Läufer gehörte damals ebenso der Stammformation der als "Wasserschachtel-Kicker" in die Annalen eingegangenen Jungspunde an wie ein Kurt Knödler, Horst Ueberle, Karlheinz Weber, Günter Hertel, Hubert Ermentraut, Fritz Gronki und Dieter Lechner.

Es sollten die Anfänge eines grandiosen Jugendteams sein - Karl-Heinz Walfort erinnert sich: "Im Frühjahr 1949 fragte mich Hans Schwechheimer von der Fußballabteilung der TSG 78, ob ich nicht eine Jugendmannschaft trainieren wolle. Ich habe ja gesagt. Warum, weiß ich bis heute nicht." Hier der 22-jährige Walfort, "Benjamin" der ersten Mannschaft, als Jugendbetreuer "ein totaler Anfänger", wie er sich rückblickend erinnert. "Auf der anderen Seite ein wilder Haufen Wasserschachtelkicker, die jeden, der nicht im Dunstkreis des Brückenkopfes geboren oder aufgewachsen war, als Fremdkörper empfanden und ablehnten."

Schnell freilich gewann der Jungtrainer die Anerkennung der Jungen: "Aus der wilden Horde vom Neckarvorland wurden Kerle, die pünktlich und vollzählig zum Training erschienen", erinnert sich Walfort, der sich eigens eine Trainerzeitung abonnierte, Slalomstangen und Sprungseile für Training kaufte. Ein ganz besonderer Clou damals: das Kopfballpendel mit dem furchterregenden Namen "der Galgen": "Das Holz holten wir damals im städtischen Holzhof in Bergheim. Dann wurde es über den Steg getragen, in den Kanal geschmissen und beim TSG Platz wieder herausgefischt", weiß Walfort noch wie heute. Am englischen Traditionsklub Arsenal London, damals Sinnbild spielerischer Brillanz und großen Teamgeists, sollten sich seine Kicker orientieren. "Ich schlug diese Mannschaft als Leitbild vor, und ab sofort waren wir "Klein-Arsenal".

Dieser Name sollte in den kommenden Jahren das Gütesiegel modernen Jugendfußballs in Heidelberg schlechthin werden. In der Saison 49/50 wurden Walforts Buben überlegen B-Jugend-Staffelmeister, unterlagen erst im Finale um die Kreismeisterschaft der TSG Rohrbach 1:4. Doch verbreiteten die Rot-Weißen mit ihrer dynamischen Fußball-Kunst nicht nur im Kreis Heidelberg Furcht und Schrecken. Besonders stolz sind Walfort, Frisch und Co. bis heute auf die Achtungserfolge gegen Mannschaften aus der Fußball-Hochburg Mannheim: "Der Heidelberger Fußball wurde in unserer Nachbarstadt mitleidig belächelt", erinnert sich Walfort. Umso schöner natürlich waren TSG-Erfolge wie das 5:2 gegen die B-Jugend des VfR Mannheim am Neujahrstag 1950 oder aber das "Bravourstück" am Himmelfahrtstag '50: Morgens schickten wir die B-Jugend des SV Waldhof, die uns wohl maßlos unterschätzt hatte, mit einer 10:4-Packung nach Hause, und am Nachmittag des gleichen Tages gelang in Mannheim gegen den VfR ein 2:2-Unentschieden."

Als wär's gestern gewesen. Frappierend, wie genau sich die älteren Herren noch an die kleinsten Kleinigkeiten erinnern. Auch an den "Kaschde". Damals stand in der Ladenburger Straße 5 ein Aushang- und Mitteilungskasten, in dem die Nachwuchskicker donnerstags nachlesen konnten, ob sie vom Coach für sonntägliche Spiel nominiert waren. "Mancher Spieler guckte zwei, drei Mal in den "Kaschde", führte Mutter und Vater vor die Scheibe, wenn sein Name in der Mannschaftsaufstellung erschien", erinnert sich Walfort mit einem sanften Lächeln.

Was den Kindern von heute der Videotext ist, war für die Nachkriegsjugend das Tagebuch, das damals noch geführt wurde: "Mein Fußball - Wie ich dazu kam", ist auf dem Umschlag des inzwischen ein wenig vergilbten Heftes zu lesen, das Günter Frisch nicht ohne Stolz zeigt. "Jedes Spiel hab ich damals eingetragen, mit Aufstellungen, Torschützen und so weiter." Natürllch auch die zweite Staffelmeisterschaft 1952 als A-Jugendlicher: 17 Spiele ohne Niederlage, 85:14 Tore standen für "Klein-Arsenal" zu Buche. Der ganz große Wurf war der Walfort-Truppe jedoch abermals nicht vergönnt. Im dritten und entscheidenden Spiel unterlag man Rauenberg nach 2:0-Führung noch mit 3:4.

Schon davor hatte sich angedeutet, was wenig später Realität werden sollte: Die Mannschaft des Dresdner Sport-Clubs (DSC), von Sachsen nach West-Berlin geflüchtet und für Hertha BSC aktiv sollte komplett zur TSG 78 nach Heidelberg geholt werden. Nachdem im Sommer 1951 zehn Spieler des DSC in die Kurpfalz kamen, schlüpften immer mehr TSG-Kicker ins Dresdner Trikot. Im September 1952 löste sich die Fußball-Abteilung der TSG 78 Heidelberg auf, ging im DSC auf. Die besten von "Klein-Arsenal" spielten bald darauf mit dem DSC in der 1.Amateurliga: Zyprian und Gronki bildeten den rechten Angriffsflügel, Ueberle stürmte in der Mitte, und Manfred Daniel war als Verteidiger oder Mittelläufer die Zuverlässigkeit in Person.

"Klein-Arsenal" war zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon Geschichte - aber nur eigentlich. Denn die Legende lebt - bis heute! Die einzigartige Kameradschaft ist über 50 Jahre erhalten geblieben. "Wir haben uns halt nie aus den Augen verloren, sind bis heute echte Kumpels", erklärt Karlheinz Weber das Phänomen "Klein-Arsenal".

Im Sommer 1949 sind sie mit den Fahrrädern an den Bodensee gefahren. Vergangenen Mai haben sie anlässlich ihres 50.Jubiläums die Tour mit den Pkws nachgefahren. Alle zusammen, dreizehn an der Zahi. Zwei aus der damaligen Mannschaft sind inzwischen verstorben: Horst Ueberle und Kurt Zuber. "Wir sind alle bis heute Freunde geblieben", freut sich Günter Frisch. Sagt's und verabschiedet sich zur gemeinsamen Feierstunde, die "der Trainer" mit einer feierlichen Rede gerade eröffnet hat.

Und später am Abend werden sie wie der einmal singen: "Rot und Weiß sind unsere Farben", ihre Hymne, die Hymne von "Klein-Arsenal".


Die Fußball-Jugendmannschaft "Klein-Arsenal"
der TSG 78 Heidelberg, 50 Jahre danach.
v.l.n.r.: Günter Wolf, Willi Bocks, Manfred Daniel, Günter Hertel,
Otto Knörzer, Trainer Karl-Heinz Walfort, Günter Frisch,
Karl-Heinz Weber, Alfons Zyprian,
Emil Dick und Horst Schenk
Foto : Stefan Kresin