Heidelberger-Kreispokal, 6. Runde (Finale)
Saison 1997/98

1.Juni 1998 in St.Leon
VfB St.Leon - ASC Neuenheim 0:1 (0:0)

Der Aufstieg der Intelligenz-Bolzer

Die Anatomen aus Neuenheim operierten messerscharf:
Bezirksliga-Meisterschaft und Kreispokalsieg


Aus der RNZ vom 2.Juni 1998
von Wolfgang Brück

Der ASC Neuenheim - der etwas andere Fußballverein. Der Trainer schreibt gerade seine Doktorarbeit. Sechs Spieler sind Studenten oder schon Akademiker. In der Halbzeitpause werden statt deutscher Schlager Rock und Techno gespielt, und die Haupteinnahme-Quelle des Klubs ist das bekannteste Fest der Heidelberger Uni-Szene: Der Mediziner-Fasching. "Wir könnten ein kleines Freiburg werden", sieht der Vorsitzende Dr. Werner Rupp Parallelen zum berühmtesten Alternativ-Klub in Deutschland. Doch die Neuenheimer, die - nach der Meisterschaft in der Bezirksliga - gestern mit einem 1:0 im Kreispokal-Finale beim VfB St.Leon das Double perfekt machten, haben ein entscheidendes Handicap. Sie müssen ihre Heimspiele auf der anderen Neckarseite im fünf Kilometer entfernten Sportzentrum Süd ausgetragen. "Im Niemandsland", wie Dr. Rupp beklagt. Den sportlichen Höhenflug der Intelligenz-Bolzer hat dies nicht stoppen können. Mit dem Aufstieg in die Landesliga ist der ASC Neuenheim jetzt unter den 14 Stadt-Vereinen - hinter der SG Kirchheim - die neue Nummer zwei in Heidelberg. Eine Entwicklung, die nicht vorauszusehen war, als vor 20 Jahren Professor Wolf-Georg Fossmann, der Leiter des Anatomischen Instituts, den ASC Neuenheim ins Leben rief. Zunächst hatten's die 21 Studenten, Dozenten und Professoren mehr mit der Theorie, als mit der Praxis. Im ersten Jahr in der B-Klasse verschlissen die Neuenheimer drei Trainer und beendeten dennoch als siegloser Tabellenletzter mit einem Torverhältnis von 16:98 die Runde. "Anatomen am Skalpell besser als am Ball", titelte die Rhein-Neckar-Zeitung. Erst im März 1980, fast zwei Jahre nach der Gründung, gelang - gegen Gauangelloch - der erste Sieg. Bis zum Aufstieg in die A-Klasse dauerte es weitere acht Jahre. Daß nun sogar der Sprung in die Landesliga glückte war nicht geplant. Doch die Verpflichtung von Spieler-Trainer Holger Zimmer erwies sich als Glücksgriff. Der erst 29-jährige ehemalige Bammentaler und Dielheimer führte die Viererkette ein. Ein Novum in der Beziksliga. Außerdem brachte Zimmer - auch eher ungewöhnlich für die siebte Liga - seine Schützlinge mit dreimal Training in der Woche körperlich in Hochform. "Zimmer haben wir sehr viel zu verdanken. Denn bei uns gibt es keine Stars, schon weil wir sie nicht bezahlen könnten", sagr Presse-Mann Joseph Weisbrod, dessen Berichte kleine Kunstwerke sind. In der Mannschaft der Namenlosen (Weisbrod) haben sich im Meisterjahr die Stürmer Michael Nägle (21 Tore) und Martin Feick (16 Tore), Mittelfeld-Regisseur Holger Wittmann und Abwehrchef Markus Zeh, den die Kollegen zum "Spieler des Jahres" wählten, einen Namen gemacht. Mit sechs Neuzugängen, die aber Dr. Werner Rupp noch nicht verrät, wollen sich die Neuenheimer nun auch in der Landesliga etablieren. Dorthin will auch der Vizemeister und gestrige Pokal-Finalist noch hinkommen. Der VfB St.Leon kann über die Relegation den Aufstieg nachholen. Erster Gegner ist am Sonntag, um 17 Uhr, in Rauenberg der VfB Epfenbach, der Zweite der Bezirksliga Sinsheim. Der Gewinner dieses Spiels ermittelt anschliessend gegen den Sieger des Spiels zwischen St.Ilgen und Seckenheim den letzten Landesligisten. "Die Chancen stehen 50:50", meint Roman Heger. Für den Vorsitzenden des VfB St.Leon wäre ein weiteres Jahr in der Bezirksliga auch kein Beinbruch. "Wir haben eine junge, entwicklungsfähige Mannschaft". Allerdings muß Trainer Rainer Steger nächste Saison auf zwei Leistungsträger verzichten. Ralph Wagner hört auf und Christian Thome geht nach Hoffenheim. Dafür kommen Michael Gaber (FCA Walldorf), Sven Beier aus Kirrlach und Bennie Schneider aus der eigenen Jugend. Zuletzt legten die St.Leoner eine tolle Serie hin: 21 Spiele ohne Niederlage. Die ging gestern Nachmittag im Kreispokal-Finale zu Ende, als zwei Minuten vor Schluß Dirk Wienke, auch ein Doktor, das 1:0 für Neuenheim erzielte. Der Sieg war glücklich und kam überraschend. Denn die Anatomen hatten nach ihrem 5:2-Meisterstück gegen Waldhilsbach am Samstag zwei Tage und Nächte durchgefeiert. Mag sein, daß Trainer Holger Zimmer dadurch sogar neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen hat. Die Doktorarbeit des Chemikers und Toxikologen heißt nämlich: "Neue Verfahren zum Nachweis von Stoffwechsel-Produkten des Alkohols". Ein Fußballspiel taugt dafür offenbar nicht ...

St.Leon : Zur Wieden(88. Steger), Schmitt (80. Schumacher), Reichenbach, Schnieder, Frank, Wagner, Weiss, Stadler (60. Bitz), Purkott, Thome, Radtke

Neuenheim : Rietzel, Zimmer, Vobis, Zeh, Carovani, Wienke, Wittmann (65. Güngör), Saggau (85. Traut), Gonzalez, Nägle (78. Klein), Feick, Andreas Hubacz (ETW)

Schiedsrichter : Edinger (Lobenfeld)
Zuschauer : 250
Tor : Wienke (88.)
Gelb-Rote Karte : Zimmer (80.)