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Hertha BSC flog raus - beide Absteiger blieben drin

"Fischken" Multhaup gelang großer Fischzug

Georg Gawliczek sorgt im Sommer 1964 für enorme Heiterkeit. Denn zu Beginn der zweiten Bundesliga-Saison wagt der Schorsch", damals Trainer des Hamburger SV, einen total verrückten Tip. "Werder kann es schaffen", antwortet er Journalisten auf die immer wieder gern gestellte Frage nach dem Meisterschafts-Favoriten.

Die Fachwelt lacht sich schlapp - kein anderer Experte rückt die Bremer auch nur in die Nähe der möglichen Titelanwärter. Die "graue Maus" von der Weser hat die vergangene Saison - ganz ihrem Image entsprechend - unter "ferner liefen" beendet, jenseits von Gut und Böse auf dem zehnten Tabellenplatz. Und ausgerechnet in diesem Team sieht Gawliczek den kommenden Meister . . .

Doch der Hamburger Coach erkennt, daß sein Bremer Kollege die richtigen Weichen gestellt hat. Willi Multhaup, damals immerhin schon 61 Jahre alt, wertet seine Erfahrungen aus dem ersten Bundesliga-Lehrjahr optimal aus. Sein Hauptziel ist es die zuvor so anfällige Abwehr zu verstärken. Und "Fischken", wie Multhaup nur genannt wird, zieht zwei dicke Fische an Land.

Mit Horst - Dieter Höttges kommt aus Mönchengladbach ein Verteidiger, der in Bremen 66facher Nationalspieler wird. Mit Heinz Steinmann wird aus Saarbrücken ein Defensiv-Künstler verpflichtet, der gegnerischen Mittelstürmern graue Haare wachsen läßt.

Diese beiden "Glücksgriffe" und dazu die schon etablierten Verteidiger Max Lorenz und Sepp Piontek, Abwehrorganisator Helmut Jagielski und Nationaltorwart Günter Bernard bilden jene Hintermannschaft, die in der Liga schon bald als "Bremer Beton" bezeichnet wird.

Zwölfmal ohne Gegentor, insgesamt nur 29 Gegentreffer in 30 Punktspielen - den Grundstein für Werders Triumph legen die "Betonmischer" in der Abwehr. Aber auch im Angriff läuft's ganz gut. Ganz besonders erfährt dies der mutige Tipper Gawliczek. Sein HSV - Team muß sich zu Hause mit 0:4 von Werder deklassieren lassen.

Zweifacher Torschütze bei Werders Kantersieg im Volksparkstadion ist übrigens Klaus Matischak, auch ein Neuer bei den Grün-Weißen, auch ein Glücksgriff von "Fischken" Multhaup. Denn der Ex - Schalker erweist sich mit zwölf Treffern als bester Torschutze der Meistermannschaft.

Allerdings sind es nicht unbedingt herausragende Einzelspieler, die Werder zum Titel führen, ausschlaggebend ist das Kollektiv, das disziplinierte, durchgängig gut besetzte Team, das obendrein während des gesamten Spieljahres kaum Verletzungsprobleme kennt.

Klammheimliche Freude beim wahren Experten "Schorsch" Gawliczek, grenzenloser Jubel beim Überraschungsmeister in Bremen - die Saison 1964/65 ist damit aber längst noch nicht beendet. Und das Nachspiel erregt die Gemüter von Fans und Fachleuten weitaus mehr als das spannende Geschehen an 30 Spieltagen.

Am grünen Tisch geht's weiter. Denn der DFB hat Wind bekommen von merkwürdigen Methoden, mit denen Hertha BSC neue Spieler nach Berlin holte. Handgelder und Gehälter, weit höher als es die strengen Bundesliga-Statuten erlauben, sind in Berlin unter dem Tisch gezahlt worden. Eine Buchprüfung bringt die Unregelmäßigkeiten an den Tag, die DFB-Gerichte fallen ein hartes Urteil: Hertha BSC wird zwangsweise in die Regionalliga Berlin zurückversetzt. Der erste Bundesliga-Skandal" ist da.

Und er weitet sich aus. Hertha raus - das ist nun klar. Aber wer kommt dafür hinein ins deutsche Fußball-Oberhaus? Der Karlsruher SC, Tabellenvorletzter, will bleiben, weil die Berliner ja nun als Absteiger gelten. Doch damit ist Schlußlicht Schalke nicht einverstanden. Auch die Gelsenkirchener pochen auf Rettung am grünen Tisch.

Und noch ein anderes Problem bereitet Kopfzerbrechen. Bundesliga-Fußball ganz ohne Berlin? Aus politischen Gründen eigentlich undenkbar.

Der DFB schlägt alle Fliegen mit einer Klappe. Ein außerordentlicher Bundestag im niedersächsischen Barsinghausen beschließt kurzerhand die Aufstockung der Bundesliga auf 18 Klubs. Nun paßt alles: Hertha bleibt draußen, die Absteiger Karlsruhe und Schalke sind weiterhin dabei, und aus Berlin wurde Regionalliga-Meister Tasmania ohne weitere Qualifikation in die 1. Liga gehievt.

Glimpfliches Ende einer Affäre, deren düsterer Schatten aber dennoch die neue Bundesliga in ein Zwielicht gerückt hat.

Bernd Jankowski

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